Der positivistische Nihilismus der Eichhörnchen

Es ist grau draußen. Äste im Hof schwingen langsam lustlos vor sich hin. Die Hausmeistersfrau ist schon wieder dick. Auch heute morgen. Die Welt scheint Wochenende zu haben, dabei ist heute nicht einmal halber Freitag und es hat diese Woche noch keine Massenmorde in Europa gegeben, zumindest keine, die über die Medien Existenz erlangt hätten. Vor dem Fenster - unteres Parterre, d.h. Halbkeller, d.h. Innenhof auf Augenhöhe - ein begrünter Hang, durchsetzt von Gerüststangen. Es wird gebaut. Schon seit Wochen warte ich darauf, endlich mal einen Bauarbeiter herabstürzen zu sehen. Aber es wird wohl nicht geschehen, und wenn, bin ich gerade sicher eben auf Toilette oder jemand ruft an und ich schaue in die falsche Richtung. Wie beim Fussball. Manchmal streicht eine Katze vor dem Fenster vorbei. Mit den Pflanzen und der Bauarbeiter-Fauna draußen kommt man sich vor wie im Zoo, wie auf der Innenseite eines riesigen partimentierten Aquariums. Nein, Terrariums. Züngel. Draussen könnten Menschen mit Kindern stehen, die auf einen zeigen und sagen - schau mal, das sind Kaltblüter, sie werden erst aktiv, wenn die Monitore und die Bürolampen angehen, dann beginnen sie sich zu bewegen, telefonieren, tippen, gehen auf Datenjagd. Zuvor sitzen sie träge am Schreibtisch. Manchmal bleiben sie trotz Licht und Wärme unbeweglich, obwohl sie genug Energie haben, dann lauern sie auf Beute - emails, Telefonanrufe.
Vor dem Fenster steht auch Farn. Fast wie im Urwald. Nur dass es im Urwald keine Eichhörnchen gibt, wie hier. Sie springen zwischen den Bäumen des Innenhofes umher, wenn man sich nähert, beginnen sie hektisch ziellos zu rennen, klettern einen Stamm hinauf, wieder herunter, zum nächsten Baum, erklimmen dort den Stamm. Gefundene Beute für jeden halbwegs intelligenten schnellen Jäger.
Ich unterstelle inzwischen, dass sich Eichhörnchen halbstündlich durch Zellteilung vermehren, weil sie sonst längst ausgerottet sein müssten. Aber vielleicht haben sie auch ein Abkommen mit den Tauben, gemeinsam die Städte zu erobern. Die Eichhörnchen bekommen die Gärten, die Tauben den Rest und währen die Tauben, versuchen, die Menschen aus den Städten zu vertreiben, indem sie alles vollkacken, zeigen die Eichhörnchen in ihrer hektischen Unbeholfenheit, dass Mutter Natur gerade die Dämlichen überleben lässt und vermitteln damit einen ungemein positivistischen Nihilismus. Dass dieses Vorgehen keinen Erfolg hat, liegt schlichtweg daran, dass der Mensch ohnehin den allerbesten Beweis für die Überlegenheit des Dämlichen darstellt und der versammelten globalen Fauna (einschliesslisch der viereirigen Eiteramöben auf dem 17. Saturnring und dem Alpha-Zentauri-Doppelbock) im Dreckmachen bei weitem überlegen ist. Und solch subtile Andeutungen wie die der Eichhörnchen ohnehin nicht versteht. Aber immerhin: niedlich finden kann er sie. Besonders, wenn sie sich beim Fällen des Baumes auf der falschen Seite des Stammes befanden. Da ist es ähnlich wie mit der Butter - das Brot fällt immer auf die bestrichene Seite. Der Baum fällt immer auf die Seite, auf der das Eichhörnchen sitzt. Ein Naturgesetz, das wie geschaffen dafür scheint, der Försterpsychatrie einen gewichtigen Platz bei der Erarbeitung des Bruttosozialproduktes zuzuweisen. Horden von Therapeuten müssten die Unterbrückenwelt bevölkern, arbeitslos, hungernd, die Hände immer noch sinnend vor dem nachdenklich leicht geöffneten Mund gefaltet, wären nicht all die traumatisierten Förster, die nach den Waldarbeiten in kuhfladengroß gewalzte Eichörnchen getreten sind. Hier bewährt sich die Eichhörnchen-Strategie, Nihilismus-Vollkontakt. Mutter Natur scheint seit ein paar Millionen Jahren shoppen zu sein. Oder in der Sauna.
Der Baum vor dem Haus scheint übrigens auch ein Kaltlblüter zu sein. Er hat sich heute noch nicht bewegt - aber die Sonne scheint ja auch kaum.

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