Die ersten Tage in Den Haag - von der 6. UN-Klimakonferenz 2000 

Der gestrige und heutige Tag schreien nach einer TopTen, der COP-TopTen sozusagen, so dass ich mich mal an das Verteilen der Positionen machen will... vorher ist zu sagen: es bleibt spannend. Durch die Aufteilung der Verhandelnden in Gruppen unterschiedlichster Art und Groeße -von die alle betreffende Contact-Group, ueber "Informals" und schliesslich "informal Informals" - weiss niemand mehr, was der Stand der Dinge eigentlich genau ist. Geruechte werden gestreut, frei nach dem Motto, was alle glauben, ist schliesslich wahr, diskutiert wird gleichzeitig ueber Prinzipen und Detailfragen, womit man sich auf einfache Weise grossartig gegenseitig behindern kann. Manche Laender sind erst bereit, ueber prinzipielle Fragen zu entscheiden, wenn die Details geklaert sind, d.h. wenn ihnen greifbare Alternativen zur Auswahl vor Augen stehen. Umgekehrt macht sich natuerlich niemand die Muehe, bis zur letzten Konsequenz Details auszurabeiten, wenn die groben Linien noch nicht feststehen.
Hier ist ein großartiger Ort, um sich in Diskussion in allen Lebenslagen zu ueben, es heisst stets hoeflich bleiben, und wenn das Gegenueber noch so großen Unsinn redet. Es ist faszinierend, wie persoenliche Belange, die hier als nationale Belange vorgetragen werden, die Sicht auf die Dinge veraendern und verschieben. Die arabischen Staaten sehen nur die oekonomischen Einbussen, die ihnen drohen, als lauerte keine Klimakatastrophe ueber den naechsten Jahrhunderten, aber wo sie herkommen, gibt es ohnehin nur Wuesten, so dass die Ausweitung selbiger oder gar Ueberschwemmungskatastrophen ihnen zutiefst irrelevant erscheinen, und wie stark sie die Klimaanlage aufdrehen muessen, kann ihnen als Oelscheichs ja schliesslich egal sein. Angesichts der drohenden Ueberschwemmung einiger Inselstaaten, die bereits jetzt mit existentiellen Problemen wie Trinkwasserversalzung zu kaempfen haben, wirkt diese Einstellung doch reichlich zynisch. Dass alle an einem Strang ziehen, war nicht zu erwarten, aber es ist dennoch traurig zu sehen, wie egoistisch viele Nationen nur fuer ihre ganz persoenlichen Ziele einstehen.
Und so darf Platz Neun auch getrost der Vetreter der Saudis belegen, der es tatsaechlich fertiggebrachte, in der Contact-Group dem Vorsitzenden mit der "Zerstoerung" dieser und weiterer Gruppen zu drohen, falls seine Forderungen nicht erfuellt werden. Forderung natuerlich: Geld. Fuer die Ausfaelle von dem Verkauf von Oel, das als Rohstoff bald ausgedient haben soll. (Ein Ausstieg, der, angesichts der begrenzten Oelvorrate auf der Welt auch nicht ganz sinnlos erscheint) Mit Saddam-Baertchen und Hitler-Blick marschiert er strahlend durch die Konferenz, selbstsicheren Kotzbrocken-Machismo verspruehend. Wir haben einen neuen Feind - muessen ihm fast dankbar sein, er schafft ein Stueck Zusammenhalt unter den Teilnehmern, nachdem die USA trotz ihrer grossangekuendigten Vorsaetze, der gesamten Konferenz auf der Nase herumzutanzen, sich doch zumindest vordergruendig sehr kooperativ praesentiert haben.

Platz 8 belegen, im wahrsten Sinne des Wortes relativ unspektakulaer, aber dennoch praemierungswuerdig: die Englaenderinnen. Hierbei handelt es sich um die wirklich absolut unattraktivsten Frauen, die man sich ueberhaupt vorstellen kann, dies aber in großer Zahl und Regelmaeßigkeit. Es ist zu vermuten, dass es sich hierbei um eine Abwehrtaktik gegen die Normannen handelt, die, wann immer es ihnen langweilig wurde, einen Verwuestungs-Abstecher auf die Insel machten. Wahrnehmen kann man sie eigentlich nur durch ihre Stimme, da der Blick an den unweiblichen Gesichtern ausnahmslos abgleitet. Selbige ist - wohl zur Arterhaltung entwickelt - sehr angenehm im Klang und erstaunlich in der Klangfarbe. Und kompetent sind sie auch. Was es weiter noch zu ihnen zu bemerken gibt: Lady Di lebt - in jeder Kurzhaarfrisur.

Platz sieben belegt die Konferenz Orga, fuer ihr absolut unfassbares Murphy-Timing. So schaffte sie es tatsaechlich, 30 Sekunden, nachdem wir 50 Exemplare unseres eigenhaendig designten Vortrags-Flyers ausgedruckt hatten, eine Raumaenderung fuer den Vortrag bekanntzugeben. Nachdem wir von den korrigierten Flyern ueber 200 Exemplare verteilt ("Hello - a side event - this afternoon", ich kam mir vor, wie ein Papagei) und an dem urspruenglichen Raum weitere Ausdrucke mit Hinweisen zu der Raumaenderung angebracht hatten und alles gluecklich ueberstanden schaetzten, wurden wir wieder in einen anderen Raum verlegt - eine Stunde vor Vortragsbeginn. Fuenf Minuten heftigen Fluchens verschafften mir die noetige Ruhe mich nochmal ans Ausdrucken und weitlauefige Aushaengen von Hinweiszetteln zur Raumaenderung zu machen, so dass am Ende doch alle gluecklich und zufrieden in unserem Vortragsraum landeten.

Platz 6 belegt der Pranger. Um selbigen zu erklaeren, muss man ein bischen ausholen: Die Konferenz besteht aus Teilnehmern. Die Menge dieser schafft eine Oeffentlichkeit, diese will

a)Feindbilder (siehe Platz 9)
b)einfache Wahrheiten
c)kostenlos Kaffe und Kekse

Da es Kaffe und Kekse hier nur selten kostenlos gibt, und b ohnehin vor c kommt, beschaeftigen wir uns mit den einfachen Wahrheiten. Man koennte es auch stupide Meinungsmache nennen, hier heisst es jedenfalls "Fossil of the day". Drei Fossils werden jeden Tag vergeben - fuer besonders rueckstaendige und verhandlungsbehindernde Ansichten und Stellungnahmen von Nationen oder Laenderverbuenden. Merke: eine absolute Wahrheit gibt es doch. Man hat sich immerhin darauf beschraenkt,diesen Pranger in einer wenig frequentierten Ecke zu installieren, dass hier Menschen am Werk sind, die einer kurzsichtiger als der andere denken und handeln, ist dennoch nicht zu uebersehen. So erheiternd das ganze auch aussehen mag, eine offenere und diskussionsbereitere Einstellung bei den angegriffenen Parteien erreicht man so auf jeden Fall NICHT.

Platz fuenf belegt ein Franzose, und zwar wegen ruecksichtsloser Unterstuetzung nationalorientierter Vorurteile bezüglich der Unfähigkeit in bezug auf Fremdsprachen, bei dem Versuch, eines unserer Infoblaettchen (sheets) zu ergattern:"Can I 'av diss shit?"
Wobei, eigentlich sollte der Platz an die Franzosen allgemein gehen, deren ungemein mangelhafte Kenntnis der englischen Sprache doch tatsaechlich schon dazu fuehrte, dass Verhandlungen auf franzoesisch gefuehrt werden mussten.

Auf Platz vier: die Wichtigkeit. Sie ist enorm vertreten auf dieser Konferenz und uebertrifft jegliches bisher dagewesene Laptop und Handy-Potential bei weitem. Die Strasse vor dem Kongress-Hotel ist abgesperrt und gespickt mit Sicherheitspersonal. Ohne Badge kein Eintritt - die Plastikkaertchen sind immer und ueberall zu tragen. Unterschiedliche Farben (meiner ist gruen = ich bin nicht so wichtig) weisen den Traeger als mehr oder weniger mitspracheberechtigt aus. Noch bevor man das Gebauede betreten hat, muss man an zwei Wachmannschaften vorbei, beim Eintritt herscht Flughafenatmosphaere, die Innereien saemtlicher mitgebrachter Taschen werden durchleuchtet, waehrend man selbst durch einen Metalldetektor schreitet. Die Durchleuchte-Bilder sind herrlich, weissrote Innereien auf hellblauem Grund, man koennte stundenlang zusehen. Ein heimatliches Gefuehl stellt sich ein, wenn man Details des Tascheninhalts wiedererkennt: Das ist ja mein Nagelset!

Platz drei: die Kampfhaehne. Man koennte auch sagen - jegliche Art von Menschen in Diskussion. Es ist ein Trauerspiel, man moechte sich auf den Boden werfen und weinen, bis das Konferenzzentrum ueberflutet seinen Ameisenhaufeninhalt nach draussen spuelt. Aber es nutzt nichts. Beobachten wir also ein sich immer wiederholendes Schauspiel: es wird viel diskutiert auf der COP. Das dient dem Informationsaustausch und der Meinungsbildung, was prinzipell nur positiv zu bewerten ist. Aber schon geht es los: zwei Herren - meist sind es Herren - die sich nicht naeher, jedenfalls nicht ueber lose Arbeitskontakte hinaus bekannt sind, kommen ins Gespraech. Sanft fliessen die erste Saetze, ein Thema schickt sich an, Gestalt an zu nehmen, lose Ausserungsbaeche fliessen zu einem Gespraechsfluss zusammen. Das Thema wird greifbar und schon kommt Wind auf, kontroverse Meinung stoßen aufeinander wie zwei Wetterfronten unterschiedlicher Temperatur vor dem Gewitter. Noch bleibt alles ruhig, nur ein leichter Wind und dunkles Wasserkraeuseln deuten an, dass man seine Satzschritte vorsichtig waehlen sollte. Zu spaet - es blitzt und donnert, die Stimmen werden lauter und lauter, die Saetze durch den Gegner verstuemmelt, halb in der Luft stehen- und fallengelassen, man watet tief in Satzscherben, ueber die unbarmherzig ein trockenes Windgewitter tobt. Dann - einer der beiden merkt, dass er einen Schwanz hat, den man einziehen kann, Gruende bieten sich vielerlei an, z.B., dass der andere ein rosa Kaertchen hat, man selbst nur ein gruenes. Man spannt ein paar zweifelnde Saetze auf wie einen Regenschirm, obwohl es doch gar nicht regnet, deutet sachte an, dass der andere nicht ganz Unrecht haben mag, indem man in den Scherben scharrt. Die Diskussion darf nicht zu einem Ende kommen, man spricht nicht mehr vom Inhalt, man verteidigt die eigene Position wie eine Burg, auf der geboren wurde und aufgewachsen ist, als ob jeder Stein, der aus der Mauer gerissen wird, einem aus dem Herzen gerissen wuerde. Daher lenkt man ab, lenkt in seichtere Gewaesser der sicheren Uebereinstimmung. Ja, es ist schwer, das zu bestimmen, die Unsicherheit, das verursacht zusaetzliche Kosten, private Firmen sind selten bereit.....Der andere nickt zufrieden, streicht sich ueber sein großes Herz, dass er dem winselnden Hund vor seinen Fueßen nicht noch auf den Schwanz getreten ist und stimmt mit ein. Gemeinsam werden ein paar Allgemeinplaetze geheult, bis die Wogen sich glaetten, die Umstehenden atmen auf, man kann sich trennen. Der eine mit leicht erhobenem, der andere mit leicht gesenktem Kopf. Wobei das schon vorher klar war. Danke fuers Gespraech.

Ach, vor Platz 2 und 1 machen wir jetzt eine kleine Werbepause...vielleicht schreibt mir ja einer von Euch auch mal zurueck? :)

Zurück